Freitag, 17. Juli 2015

Mira, there's a Flugzeug!

Lieber Hannes,

in wenigen Wochen feiern wir den ersten Geburtstag von Beelzebebi.

Wie stolz du wohl auf sie wärst, wenn du ihre blonden Haare sehen würdest, und ihre strahlend-blauen Augen. Ein paar Löckchen hat sie, und schon acht kleine süße Zähnchen. Auch wenn sie ein Mädchen ist, sieht sie dir von den Gesichtszügen her sehr ähnlich, vor allen Dingen der Mund. 

Sie weiß ganz genau, was sie möchte - und was sie nicht möchte. Deinen starken Charakter hatte sie von Anfang an. Schon als ich mit ihr schwanger war. Wie kann ein kleiner Mensch sonst so viel Stress zu Beginn seines Lebens ertragen und überleben? 

Die ganze Schwangerschaft hindurch war sie unterdurchschnittlich klein, nicht unterentwickelt, aber eben 'zu klein', was die Ärzte auf den massiven Stress zurückführen. Nach nun mehr knapp einem Jahr ist nun nichts mehr von dem Stress-Bebi zu sehen, das sie einst war. Nach viel zu langer Zeit des 'Übertragens' entschied sie sich doch dafür, auf natürlichem Wege zur Welt zu kommen - just an dem Morgen, als der Kaiserschnitttermin angesetzt war, und es kein Zurück mehr gab. Zuvor hatte es geheißen, Sie wäre zu klein für eine natürliche Geburt, sie sprang auf keinen der vielen Einleitungsversuche an, nicht auf den Wehencocktail, nicht auf den Wehentropf. Aber nachdem sie sich in quasi letzter Minute von Beckenendlage und Querlage in die richtige Startposition gedreht und sich so viele Kontraindikationen wie durch ein Wunder in Luft aufgelöst hatten, sah ich nicht mehr ein, sie durch einen Kaiserschnitt holen zu lassen. Dazu kam meine nahezu panische Angst vor dieser Operation. Wer würde sie in den ersten Minuten ihres neuen Lebens halten, wenn die einzige, die sie hat - ich - weggebeamt auf einem OP-Tisch läge, um zugenäht zu werden? Wie lange würde es dauern, bis Fridolin sie endlich in die Arme schließen könnte, nach einer OP? Dazu die Angst, wie ich sie wohl versorgen könnte nach einem Kaiserschnitt, und vor den Schmerzen, die solch eine Wunde mit sich bringt. 
Ich danke jedem einzelnen Arzt, jeder Schwester und jeder Hebamme, die mich in diesen Tagen und danach begleitet haben, für den Zuspruch, für die Geduld und Zuversicht, dass ich es auch ohne Kaiserschnitt schaffen würde, für die tolle Begleitung und für den vielen Sekt. Das ist nicht! selbstverständlich in einem großen Krankenhaus!

Ihre Geburt war nach allem, was wir die Monate zuvor durchstehen mussten, das Schönste, was ich jemals erlebt habe, und wird vermutlich auch durch nichts auf dieser Erde zu toppen sein. Niemals.

Die ersten Wochen und Monate war sie ein echtes Spuck-Kind und hat relativ viel geschrien, auch wenn sie kein richtiges Schrei-Kind war. Stillen funktionierte nicht so wirklich, wie ich mir das gewünscht hatte, nach nur vier Monaten war endgültig Schluss, und sie bekam den ersten Brei - weil sie das so wollte. Selbst die Hebammen stimmten mit mir überein, dass das so das Beste für sie war. Wie auch der Bub hat sie ihren eigenen Kopf, und das ist gut so. Im Endeffekt hätte ich mir schon eine harmonischere Stillzeit gewünscht, aber vermutlich hatte auch das einen Sinn, schließlich arbeite ich seit Januar wieder. Vollzeit, auf nur vier Tage verteilt, damit ich freitags Zeit für Bebi habe. Das hätte ich mit Stillen nicht unter einen Hut bringen können. Ja, ich habe mir wieder meine Selbständigkeit aufgebaut. Die Arbeit tut mir verdammt gut, nicht nur, weil ich alleinerziehend bin, und unsere Versorgung alleine stemmen muss, sondern auch, weil ich durch meine Arbeit, die ich gut mache, etwas von dem Selbstwertgefühl wieder erlange, das durch den Stress, die Bedrohungen, die Angst, Wut und Trauer in den ersten Monaten meiner Schwangerschaft kaum mehr vorhanden war.

Lieber Hannes, du wärst so stolz auf diese Bebiline, auch wenn du weder weißt, ob sie ein Mädchen oder ein Junge ist, noch ihren Namen kennst oder ihr Geburtsdatum. Ich bin dir lange nicht mehr böse oder wütend. Sie gibt mir all das, wovon du immer geträumt, wonach du dich so sehr gesehnt hast. Ich habe mir in all den Jahren sowohl in Mexico als auch in den USA und in Deutschland ein hervorragend soziales Netz aufgebaut, zu dem ich auch meinen Teil beitrage, das schlicht und einfach funktioniert, so hat sie genügend liebe Menschen, die jeden Meilenstein mit uns feiern. 
Heute lief sie die ersten Schritte komplett frei, sie kann winken, klatschen, lacht viel und ist ein sehr fröhliches kleines Mädchen. Am Liebsten spielt sie mit Kabeln, an sämtlichen Steckdosen, räumt Schränke aus und den Mülleimer, aber ihre Puppe mag sie auch. Wenn wir Musik anmachen, tanzt sie mit Händen in der Luft, klatscht und freut sich. Wenn ich mit ihr auf dem Arm tanze, Salsa, kriegt sie sich vor lachen nicht mehr ein. Sie mag gerne, wenn ich mit ihr spanisch spreche oder englisch, deutsch versteht sie selbstredend auch. Wenn ich mit ihr alleine bin, spreche ich ausschließlich spanisch oder englisch. Mal sehen, was dabei rauskommt. Einer der ersten Sätze vom Bub war "Mira, there's a Flugzeug!", aber das weißt du ja. Nächstes Jahr nehme ich mir eine Woche Urlaub mehr, dann werden wir heim fliegen. Ich weiß noch nicht ... Mexico oder USA oder beides ... San Diego, Los Angeles, San Antonio. Du würdest es hassen.

Was ich ihr erzählen werde, wenn sie einmal nach dir fragen wird? Ich werde ihr erzählen, wie sehr ich dich geliebt habe, von deinen Träumen, deinen Sehnsüchten. Kurz nach ihrer Geburt habe ich eine schöne Kiste gekauft, in die ich alles gelegt habe, was von dir übrig blieb - deine Geschenke an mich, den Stein mit dem Herz drauf, Anziehsachen ... aber auch Symbole für Dinge, welche du gerne mochtest. Die Moldau. Das kleine Fotobuch, das ich nach unserem Zingst-Urlaub gemacht habe. Damit war das Kapitel für mich abgeschlossen. Die Kiste darf sie haben, wenn sie einmal wissen möchte, wer ihr Vater war, und ich werde ihr alle Fragen beantworten, so gut das eben geht. Die Suizid-Androhungen und all die anderen schlimmen Dinge, die passiert sind, lasse ich weg. Es ist so gut, dass sie da ist!

Ein rechter Schluss für diesen Brief fällt mir nicht ein. Als du gegangen bist, als ich gegangen bin, war ich für einen Augenblick dem Tod näher als dem Leben. Wäre dieses Kind in mir gestorben, wäre auch ich gestorben. Am Ende ist - für uns - alles gut so wie es ist, denn ich habe den Beelzeplan! Vielleicht finden wir ja irgendwann mal einen tollen Menschen, der uns ergänzt, jemanden, der mich liebt, wie ich bin. So lange nehme ich das, was meine Kinder mir zurück geben ... und das ist Leben, Liebe und Lachen!

Hasta siempre,
Beelzefrau!

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