Donnerstag, 22. Mai 2014

Kackarschloch

Ja, der Titel für diesen Blog-Eintrag hat nicht wirklich was mit 'nettem Mädchen von nebenan' zu tun, nicht das All-American-Girl. Hilft mir grade beim mentalen Nicht-Ausrasten.

Fred war früher schon zu blind, um irgendwas zu sehen, Fred ist es jetzt, und Fred wird immer blind bleiben. Früher hat mich das in die Verzweiflung getrieben. Jetzt geht Fridolin dadurch kaputt. Fridolin blutet aus an Fred's Borniertheit, so wie ich vor nicht allzu langer Zeit. 2012 - der Todesstoß.

Früher hatte ich den Ehrgeiz, Fred mit dem Kopf so lange gegen eine Wand zu schlagen, auf ihn einzuprügeln, bis er irgendwann aufwachen würde. Schmerzen machen wach. Jeden. Irgendwann. Gewalt im übertragenen Sinn - selbstredend. Jeder Mensch wacht irgendwann auf. Irgendwann. Fred nicht. Wachkoma seit 2006. Sinnlos. Fred will auch gar nicht aufwachen. Und zerstört genau dadurch sein Umfeld. Die Menschen, die ihn am meisten geliebt haben, und lieben. Erst mich, jetzt Fridolin.
Sonst wäre Hannes nicht in mein Leben getreten. Ich bin gegangen, als ich alles Menschenmögliche versucht hatte, als er schon lange nicht mehr da war. Er ist nicht von mir gegangen. Kein anderes Ziel. Er ist nirgends. Nicht bei jemand anderem, nicht bei sich selbst. Ich bin gegangen, weil er schon lange nicht mehr da war. Weil er nirgends ist. Selbst wenn er hier ist, sichert er sich vorher ab, dass er nicht wirklich da ist.
Ich war es nicht, die aufgehört hat, Liebe zu zeigen, zu lieben. Aber ich war es, die an Fred's Abwesenheit von sich selbst zu Grunde gehen drohte.

Am liebsten hätte ich ihn geprügelt, bis er sich vor Schmerzen und um Gnade winselnd am Boden windet. Das wäre dann mal ein Zeichen gewesen. Ein Lebenszeichen. Ein Zeichen, dass er irgendwas gespürt hätte. Irgendein Gefühl für sich selbst, für etwas anderes. Wut, Hass, Trauer, Angst ... was auch immer.
Prügeln - einerseits, um ihn wachzuprügeln. Andererseits, damit er auch nur den Hauch einer Ahnung bekommen hätte von dem Leid, das er mir angetan hat. Meine Verzweiflung. Und was er jetzt Fridolin antut.

So ist das, wenn man mit einem depressiven Menschen zusammen war, und - über unser gemeinsames Kind - verknüpft ist, und dabei nicht schafft, genug auf sich selbst acht zu geben, nicht rechtzeitig abspringt, selbst zu schwach ist. Als Paradoxon zu der Tatsache, an allem Schuld zu sein, weil man ja angeblich so dominant ist. Gegen einen depressiv-lethargischen Menschen ist jeder, der auch nur im Ansatz ein Gefühl in sich trägt, dominant. Jeder. Da braucht man an sich noch gar nicht dominant zu sein.

Und nein, es geht hier nicht um Respektlosigkeit gegenüber Menschen mit Depressionen. Jeder Mensch durchläuft bestimmt früher oder später in seinem Leben die ein oder andere depressive Phase. Ich habe (!) mein Menschenmöglichstes getan, um Fred da raus zu bringen. Ich habe das sehr (!) lange mitgemacht, als viele Menschen in meinem Umfeld, auch Fachpersonal, schon längst kapitulierten, und mir davon abrieten. Ich habe versucht, Fred selbst zu helfen, ich habe mir Hilfe geholt, um ihm helfen zu können, ich habe versucht, seinen Lebenserhaltungstrieb zu wecken, sich selbst Hilfe zu suchen, den Rücken frei gehalten. Nichts. Über all die Jahre.

Liebe Menschen mit Depressionen, die ihr das lest: bitte helft euch selbst, lasst euch helfen, nehmt Hilfe an. Sonst krepieren auch die Menschen, die euch lieben.

Eigentlich wollte ich diesen Blog-Post "Ewige Treue" nennen, nach dem Thriller von Sandra Brown, den ich gleich zu Ende gelesen haben werde. Nicht gerade preisgekrönte Literatur ... liest sich leicht im Augenblick für einen Menschen wie mich. "Leicht" ist gut. Aber irgendwie war mir mal danach, meine Wut rauszuschreien, meine Verzweiflung. Deshalb: Kackarschloch, Depression!